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Sep 2024
23m 25s

Krieg in den Bergen - Eingegraben in Fel...

BAYERISCHER RUNDFUNK
About this episode

Im Mai 1915 entwickelte sich in den Alpen ein grausamer Stellungskrieg. Die beteiligten Soldaten Italiens und Österreich-Ungarns waren nicht nur von den unmittelbaren Kampfhandlungen betroffen, sondern auch auf zermürbende Weise den Naturgewalten ausgeliefert. An manchen Frontverläufen kamen mehr Soldaten durch Lawinen und Erfrierung ums Leben als in direkten Kämpfen. Von Markus Mähner

Credits
Autor dieser Folge: Markus Mähner
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Rahel Comtesse, Sophie Rogall, Johannes Hitelberger
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz


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Literatur:
Alexander Jordan: Krieg um die Alpen - Der Erste Weltkrieg im Alpenraum und der bayerische Grenzschutz in Tirol. Duncker & Humblot 2008. ISBN 978-3-428-12843-3
Alexander Jordan: Die deutschen Gebirgstruppen im Ersten Weltkrieg. Verlag Militaria 2023. ISBN 978-3-903341-32-6

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN 2

Februar 1917. In 2000 Metern Höhe auf dem Pasubio, einem Bergmassiv zwischen Rovereto und dem Flachland von Vicenza. Ein ganzes Dorf ist an den Fels gezimmert, Baracken in unterschiedlicher Form und Größe. Manche von Schnee begraben. Viele noch in Bau oder wieder im Aufbau nach einem Lawinenabgang.

GERÄUSCH Lawine

ZITATOR

20.März: Es ist eine Sisyphus-Arbeit hier. Der Sturm zerstört immer wieder alles, was wir aufgebaut haben. Du kannst Dir das nicht vorstellen!

SPRECHERIN 1

Achille Papa, diensthabender General auf dem Pasubio, in einem Brief an seine Familie.

SPRECHERIN 2

Ein Monat später: Immer noch Schnee überall, doch die Behausungen sind gewachsen, neue hinzugekommen. 

SPRECHERIN 1

So zeigen es zwei Fotos eines italienischen Soldaten, der an diesen notdürftigen Unterkünften mitgehämmert hat - und Baumaterial dafür in diese Höhe raufgeschleppt hat:

SPRECHERIN 2

Ein weiteres Foto zeigt eine Kolonne von etlichen Männern – es mögen 50 oder auch 100 sein – die sich durch meterhohen Schnee bergaufwärts graben. Auf ihren Schultern tragen sie 5 Meter lange Holzbalken. Eine Schufterei!

ZITATOR

2. April: Der Schneesturm dauert jetzt schon vier Tage. Es scheint so, als wollte der Südwest-Wind den ganzen Berg schütteln. Der Sturm macht uns fertig. Ich habe alle Arbeiten verboten, damit kein Unglück geschieht. Alle Liebe Achille.

Musik 2: Monumental brass (c) –22 Sek

SPRECHERIN 1

Doch wozu diese Mühsal? Warum Schützenstellungen mitten auf dem Berggipfel bauen, wenn das tief eingeschnittene, breite Etschtal gleich daneben und 2000 Meter tiefer liegt?

SPRECHERIN 2

Die Antwort: Die Täler waren zu gut geschützt. Alexander Jordan, Direktor des Wehrgeschichtlichen Museums Rastatt:

Jordan 5

Im 19.Jahrhundert ist man verstärkt darangegangen vor allem die Täler in Tirol - also die geplanten oder potenziellen Einbruchswege - durch ständige Befestigungen zu sperren: also Fortifikationen unterschiedlicher Größe und Dimensionen, Sperrwerke, ganze Sperrgruppen, die einzelne Täler schließen. 

SPRECHERIN 1

Doch nicht nur Festungen sind im 19.Jahrhundert verstärkt gebaut worden. Auch die touristische Erschließung der Alpen um 1900 spielte eine Rolle für den Krieg in den Bergen.

Jordan 4

Man hat immer leistungsfähigere Bahnen gebaut, nicht nur kleine Gebirgsbahnen, sondern auch Vollbahnen: die Semmeringbahn, die Brennerbahn, die Arlbergbahn, die Gotthardbahn. Und so waren Verschiebungen großer Truppenmassen, die für einen Krieg der Moderne unerlässlich waren, schnell und einfach möglich.

SPRECHERIN 1

Und so konnte man schnell die große Anzahl an Soldaten, Trägern, Material und Verpflegung, die man für ein ganzes Kriegsdorf wie auf dem Pasubio benötigte, herankarren. Denn eine Kriegsstellung auf einer Anhöhe hat auch strategische Vorteile. Nochmal Alexander Jordan, Autor der Bücher „Krieg um die Alpen“ und „Die deutschen Gebirgstruppen im 1.Weltkrieg“:

Jordan 3

Das Besondere ist ja, dass die Umweltbedingungen und das Terrain von jeher die Planung und den Ablauf von militärischen Aktionen beeinflusst haben. Also die Topografie des Gebirges steht hier ein bisschen im Fokus. Man hat im Lauf der Geschichte schon viele Schlachten im Gebirgsgelände gekämpft, weil eben die Überhöhung einmal der Verteidigung, andermal aber dem Angriff förderlich war. Und was sich auch zeigt in der Geschichte, dass schon kleine Erhebungen und Hügel oft taktische Vorteile bieten, ohne größere Risiken eingehen zu müssen.

Musik 3: Broken by nature (Part 5) – 20 Sek 

+ Atmos Eiswind, Schritte…

SPRECHERIN 2

Allerdings verlagerte sich das Kampfgeschehen im Ersten Weltkrieg in bisher ungeahnte Höhen und Gegenden. Kriegshandlungen in Fels und Eis, im Hochgebirge bis auf 3800 Meter, stellten ganz besondere Herausforderungen dar.

Jordan 6

Prinzipiell ist ja der Zweck aller Kriegshandlungen das Erreichen bestimmter strategischer oder taktischer Ziele. Jedes Gebirge erschwert diese Zielerreichung. Die Gebirge zeichnen sich ja im Gegensatz zum Flachland dadurch aus, dass Faktoren verstärkt zu Tage treten. Faktoren wie Ressourcenlosigkeit, Wege-Armut, schwere Gangbarkeit und plötzlich auftretende Elementarereignisse. Die Ressourcenlosigkeit, die bezieht sich natürlich vor allem auf die Verpflegungs-Quellen für Mann und Tier. Man darf nicht vergessen, dass im Ersten Weltkrieg und insbesondere im Gebirgskrieg die Tiere eine ganz zentrale Rolle im Bereich Nachschub und Logistik ausmachen. 

Musik 4: Broken by nature (Part 5) – siehe vorn – 55 Sek

+ Atmos Eiswind

SPRECHERIN 1

Und manchmal, wenn die „plötzlich auftretenden Elementarereignisse“, also Stürme, Schneefall, Lawinenabgänge, Temperaturabfälle auf weit unter Null Grad auftraten, dann blieb dieser Nachschub oft aus – gerne auch mal mehrere Tage.

ZITATOR

Gewaltige Schneemassen bedeckten die Bergflanken, die Temperatur sank oft bis unter 20 Grad Celsius. Um die Truppen zu verpflegen, musste man erst Gassen durch den Schnee brechen und überdies die Fuhrwerke in Schlitten verwandeln. Auf die Höhenstellungen konnte man die Feldküchen nicht hinaufbringen, die Nahrungsmittel mussten unter furchtbarsten Mühsalen täglich hinaufgeschleppt werden. Es kam vor, dass die Truppen lieber ohne Nahrung blieben, als schichtenweise durch metertiefen Schnee bergab und wieder bergauf zu wandern. 

SPRECHERIN 2

Aus einem österreichisch-ungarischen Feldpostbrief.

SPRECHERIN 1

Zwar gab es unter den Soldaten, die das ertragen mussten, einige, die eine besondere Ausbildung für den Krieg im Gebirge erhielten. Oder sie hatten bereits selbst Bergerfahrung...

SPRECHERIN 2

Was allerdings manchmal zu absurden Szenen führte: So trafen sich zum Beispiel im Gebiet der Sextner Dolomiten ehemalige Kletterpartner an der Front wieder – auf gegnerischen Seiten!

SPRECHERIN 1

Die meisten Soldaten jedoch, die in den Alpen kämpfen mussten, waren alles andere als ausgebildete Alpinisten.

Jordan 8

[…] da waren Landwehrverbände dabei, die beispielsweise aus Ungarn kamen, aus der ungarischen Puszta, die dann wenn es blöd lief, irgendwo rund um den Ortler in unwirtlichen Gegenden auf fast 4000 Metern kämpfen mussten: in einem Terrain, das ihnen völlig fremd war. Genauso italienische Bauern beispielsweise aus Sizilien oder Süditalien, die mit Gebirge überhaupt nichts am Hut hatten.

SPRECHERIN 2

Auch war die Ausrüstung meist mangelhaft und keineswegs ausgelegt für einen längeren Aufenthalt im Hochgebirge - und für Kampfhandlungen dort schon gleich gar nicht: Zu Beginn des Krieges hatten die meisten Soldaten nur Mützen und keine Helme. Was im Fels ein besonderes Risiko darstellt, da Geschosse gerne mal am Stein abprallen oder Steinstücke losschlagen, die dann wiederum selbst wie kleine Geschosse wirken.

Musik 5: Herr und Frau Iskue – 55 SEk

SPRECHERIN 1

Doch wie kam es überhaupt zu dem Krieg im Gebiet zwischen Ortler, Gardasee, Dolomiten bis hin zum Fluss Isonzo kurz vor der Bucht von Triest?

SPRECHERIN 2 

Heute ist der Isonzo auch unter seiner slowenischen Bezeichnung Soca bekannt

SPRECHERIN 1

Italien war eigentlich bei Kriegsausbruch mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet. Grundlage hierfür war der sogenannte Dreibund.

SPRECHERIN 2

Der Dreibund war ein Defensivbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Italien, das seit dem 20.Mai 1882 bestand. Doch mit der Kriegserklärung von Kaiser Franz Josef an Serbien am 28.Juli 1914 beginnt das Bündnis zu wackeln:

Jordan 1 + Jordan 2

1914/15 beginnt fast schon so etwas wie ein Geschacher hinter den Kulissen: Italien fordert immer unverhohlener im Gegenzug für die Neutralität österreichische Gebiete. Da gehört vor allem Tirol bis zum Brenner dazu, auch Teile von Dalmatien. Und als unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen eines Abkommens war die sofortige Abtretung dieser genannten Gebiete. Deutschland hat versucht das zu unterstützen und drängt Österreich auf die Forderungen einzugehen. Es gibt ein schönes Zitat des preußischen Kriegsministers Wild von Hohenborn, der das weit verbreitete Denken in einem Brief an seine Frau schildert. Zitat: “An sich könnte es uns ja wurscht sein, ob Italien von dem sterbenden Kamel Österreich ein Stück Schwanz mehr abhackt oder nicht. Aber die militärische Lage verschärft sich durch das Eingreifen Italiens doch bedenklich.“

Parallel hat eben Italien sehr erfolgreich mit den Entente-Mächten verhandelt und im Londoner Vertrag vom April 1915 kriegt Italien für den später angedachten Friedensschluss große Gebietsgewinne zugesichert. Genau das, was Italien auch gefordert hat: Tirol bis zum Brenner, Triest und Istrien, das nördliche und mittlere Dalmatien. Und so erklärt Italien formell am Pfingstsonntag, im Mai 1915 der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn den Krieg.

Musik 6: Night fires – siehe vorn – 35 Sek 

+ Atmo marschierende Soldaten

SPRECHERIN 2

Um genau zu sein: Am 23.Mai 1915. 

SPRECHERIN 1

Kurz darauf schickte Italien seine ersten Soldaten auf die Berghöhen, die die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und dem Königreich Italien darstellen. Dasselbe machte das Kaiserreich Österreich-Ungarn, unterstützt von Deutschen Gebirgstruppen 

SPRECHERIN 2

- die anfangs allerdings noch gar nicht angreifen, sondern lediglich den Verbündeten bei der Verteidigung helfen durften. 

SPRECHERIN 1

Beide Seiten hatten große Pläne.

Jordan 9

Für Italien war das eben der Versuch, über den Isonzo Richtung Wien vorzustoßen und sich dann als entferntes strategisches Ziel mit den Verbündeten über den Balkan zu treffen. Auf Seiten Österreich-Ungarns war die strategische Komponente die Überlegung: Südtirol, das ja wie ein Splitter ins Fleisch Italiens nach Süden hineinschneidet als Ausgangspunkt für eine Offensive zu nehmen in Richtung Venedig und Adria, also am engsten Punkt zwischen der Reichsgrenze und dem Mittelmeer, Italien sozusagen, das Friaul abzudrücken und die Truppen zu isolieren.

Musik 7: Promenade of stolen Children  1:30 Min

SPRECHERIN 1

Um diese Ziele zu erreichen, schien beiden Kriegsparteien jede Methode recht.

Berühmtestes Beispiel des Alpenkriegswahnsinns ist wohl der Col di Lana, ein 2462 Meter hoher Berg in der Dolomitengruppe Fanes.

ATMO Sprengung

SPRECHERIN 2

Es ist der 17. April 1916. Ein italienischer Alpino zündet um 23:35 Uhr mehr als 5000 Kilogramm Sprengstoff, der vorher in zwei in den Fels gegrabene Minenstollen geschafft wurde. Über diesen Stollen sitzen österreichische Soldaten.

SPRECHERIN 1

Noch heute liegen über 100 Österreicher unter dem Schutt, der durch die gewaltige Explosion entstanden ist. Der Minen-Krater ist gut 25 Meter breit, 35 Meter lang und 12 Meter tief. 

SPRECHERIN 2

Seitdem heißt der Col di Lana auch “Col di Sangue” – zu Deutsch “Blutberg”.

SPRECHERIN 1

Doch auch die andere Seite schreckte nicht vor dieser Methode zurück. So sprengten österreichische Truppen ein gutes Jahr später, am 22.Mai 1917 ein Felsband am Kleinen Lagazuoi, keine 15 Kilometer vom Col di Lana entfernt. Um 200.000 Kubikmeter Schutt die Felswand herabstürzen zu lassen, wurden über 30.000 Kilogramm Sprengstoff in diese Höhe geschafft.

SPRECHERIN 2

Unvorstellbar, wenn man bedenkt, dass manche Truppen tagelang ohne Munition, Wasser oder Essen ausharren mussten!

Musik aus, ATMO Eiswind 

SPRECHERIN 1

So zum Beispiel einige Kilometer weiter südwestlich, an der Marmolata, mit über 3300 Metern der höchste Dolomitengipfel.

SPRECHERIN 2

Aus dem Gipfelbuch:

ZITATOR

6.November 1916: Furchtbarer Schneesturm, Träger nicht gekommen

SPRECHERIN 2

Darunter:

ZITATOR

Träger wieder nicht gekommen, greifen die Reserveportionen an

SPRECHERIN 2

Wieder darunter:

ZITATOR

Heute die letzte Konserve verzehrt! Wie wird es morgen? Haben nur Bohnen hier ohne alles Zubehör, sehr traurig! Haben nichts mehr zum Heizen und kein Licht, sitzen völlig im Dunkeln.

SPRECHERIN 1

Die Marmolata war zusammen mit der Ortler- und der Adamellogruppe eine besondere Herausforderung für Soldaten des Ersten Weltkriegs. Denn auf den großen Gletschern, die diese Berge beherrschen, gab es keinerlei Möglichkeiten sich vor dem Feind zu verstecken. Deswegen kam der Tiroler Ingenieur Leo Handl auf eine unfassbare Idee: Man könne doch ein Tunnelsystem in den Gletscher bohren – ähnlich wie ein Bergwerk. 

Musik 8: Broken by nature (Part 5) – siehe vorn – 20 Sek

SPRECHERIN 2

Und so entstand im Gletscher der Marmolata die erste Stadt im Eis, in der die Soldaten wohnten und durch Stollen mit Höhenunterschieden bis zu 1000 Metern versorgt wurden.

Jordan 13

Das ist ja auch ein unglaubliches Vorgehen, dass man aufgrund der immensen Kälte, der man ausgesetzt war, aufgrund von Stürmen und Schnee und Regen und vor allem auch aufgrund des feindlichen Beschusses beschließt: Man baut als Unterkunft für die Soldaten, aber auch als potenzielles Angriffsgelände eine Art Stadt im Eis, im ewigen Eis der Gletscher. Da kann man heute leider nichts mehr sehen, das ist, denke ich, trotz allem ein Gelände, wo man es vielleicht so ein bisschen erahnen kann, vor welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen die Soldaten beider Seiten standen.

SPRECHERIN 1

Auch wenn man in den Stollen der Witterung deutlich weniger ausgesetzt war als an der Oberfläche, so war das Leben in der Gletscherstollenstadt keineswegs so gemütlich, rein und weiß, wie man es sich vielleicht vorstellt.

Musik 7: Into the open  40 Sek

ZITATOR

Beim Eingang hat das Eis ein grünliches Aussehen, je weiter man in den Stollen kommt, desto dunkler wird es, bis es dann ganz schwarz und finster ist. Ein Gehen ohne Licht war fast unmöglich. Zur Beleuchtung dienten größtenteils Fackeln, die aber so viel Rauch entwickelten, dass man vom Ruß ganz schwarz wurde. Bei Abzweigungen waren Orientierungstafeln angebracht, da ein Zurechtfinden sonst ziemlich ausgeschlossen gewesen wäre. 

SPRECHERIN 2

Tagebuch eines unbekannten k.u.k.-Soldaten

SPRECHERIN 1

Trotz der Orientierungstafeln verliefen sich immer wieder Soldaten in dem Stollengewirr. Manche verschwanden sogar für immer. Denn ein Gletscher ist kein starres Gebilde, sondern bewegt sich unentwegt. Und so entstanden immer wieder neue Spalten und Klüfte, die kurz zuvor noch gar nicht vorhanden waren.

SPRECHERIN 2

Überhaupt waren die Naturgewalten für viele Opfer im Gebirgskrieg 1915-1918 verantwortlich. So kamen allein in der Nacht vom 12. auf den 13.Dezember 1916 um die 6000 österreichische Soldaten in Lawinen um. Woanders verhungerten oder erfroren Soldaten, ohne jemals ihr Gewehr benutzt zu haben.

SPRECHERIN 1

Auch kam es immer wieder zu absurden Vorfällen wie zu dem am 17.März 1917 in der Ortlergruppe.

Musik 8: Herr und Frau Iskue – siehe vorn – 38 Sek

SPRECHERIN 2

Da verschwindet auf einmal ein Soldat der italienischen Alpini von der Bildfläche. Wie vom Erdboden – oder besser gesagt Eisboden – verschluckt. Denn unter ihm haben Österreicher einen Stollen bis auf 3500 Meter hoch gegraben. Nur ist die Eisdecke über Ihnen so dünn, dass der italienische Soldat ganz unvermittelt eingebrochen ist. 

SPRECHERIN 1

Die gerade mit Graben beschäftigten Österreicher fanden sich so unvermittelt in einem Nahkampf wieder. Ebenso die völlig überraschten Italiener.

MUSIK 9: Mountain brass (c ) - siehe vorn – 38 Sek 

SPRECHERIN 1

Zurück zum italienischen Dorf auf dem Pasubio.

SPRECHERIN 2

Die gleiche Szenerie wie zu Beginn, ein halbes Jahr später: Es ist Oktober 1917. Der Ort am Fels ist gewachsen, die zusammengeschusterten Häuser sind inzwischen durch Wege und Steinmauern verbunden, auf Dächern, Mauern und Leinen zwischen den Unterkünften ist überall Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Die Sonne scheint, alles ist trocken, kein Schnee weit und breit. Überall sind Soldaten zu sehen, die Wäsche aufhängen. Ein fast schon idyllisches Bild!

Musik 10: Night fires – siehe vorn – 1:25 Min

SPRECHRIN 1

Doch der Schein trügt. In jenem Oktober begann am Pasubio ein grausames Gefecht: Der Minenkampf.

SPRECHERIN 2

Bereits am 2.Oktober 1917 sprengten italienische Truppen mit sage und schreibe 16.000 Kilo Sprengstoff einen noch heute erkennbaren Trichter von 40m Durchmesser und 20 Meter Tiefe in den Berg. In einen österreichischen Stollen drangen dabei Gase ein und töteten 12 Soldaten.

SPRECHERIN 1

Drei Wochen später begann ein wahrer Reigen der Minensprengungen. Am 29.Oktober starben dabei über 30 Italiener. 

SPRECHERIN 2

Am Heilgen Abend luden die Österreicher erneut unter die italienische Platte über 6000 Kilogramm Sprengstoff und sprengten mehr als 50 Italiener in die Luft.

SPRECHERIN 1

Nachdem am 13. März 1918 die mit 50.000 Kilogramm Sprengstoff größte Mine des gesamten Gebirgskriegs die ganze Frontseite der italienischen Platte am Pasubio zum Einsturz brachte, beendeten beide Seiten ihre Minentätigkeiten.

SPRECHERIN 2

Geländegewinne hatte all dies nicht gebracht.

SPRECHERIN 1

Knapp 8 Monate später, am 4.November 1918, endete der Krieg zwischen Italien und Österreich-Ungarn und somit der Krieg in den Hochlagen der Alpen.

SPRECHERIN 2

Was hat das alles am Ende gebracht? War irgendetwas davon kriegsentscheidend?

SPRECHERIN 1

Die wirklich entscheidenden Schlachten wurden woanders gefochten.

Jordan 10

Ja, die Frage, ob der Krieg in den Alpen kriegsentscheidend war, oder ob man sich das nicht hätte sparen können, ist für einen Historiker etwas schwierig zu beantworten. Bei Kriegen ist es prinzipiell ja so, dass die nicht durch einzelne Schlachten gewonnen oder verloren werden, sei es jetzt durch diese oder jene Isonzoschlacht oder durch den Versuch der Mai-Offensive 1916 der Österreicher. Aber es werden manchmal an besonderen Orten die Weichen für den Ausgang eines Krieges gestellt. Letzten Endes war der ganze Krieg natürlich ein unglaubliches Morden und Schlachten in ganz Europa. Und die Sinnhaftigkeit des Ganzen sei dahingestellt.

SPRECHERIN 2

Was bleibt vom sinnlosen Sterben in einer der schönsten Landschaften Europas? 

SPRECHERIN 1

Tatsächlich waren die Bauten und Befestigungen des Ersten Weltkriegs förderlich für den wachsenden Tourismus im Alpenraum, der bereits in den 1920er Jahren zu einer Massenbewegung wurde.

SPRECHERIN 2

So begann man bereits 1921 auf dem Pasubio aus einer noch gut erhaltenen Steinbaracke eine Unterkunftshütte für Bergwanderer zu bauen. Sie ist bequem über eine Straße zu erreichen, die von Februar 1917 bis Dezember 1917 gebaut wurde, die „Strada delle 52 Gallerie“, die „Straße der 52 Tunnel“.

Jordan 11

Ein ganz wichtiger Punkt ist meines Erachtens auch der Ausbau von Feldbahnen, von kleinen Eisenbahnen, die dann teils weiter genutzt wurden, aber noch viel stärker von Seilbahnen, die während des Ersten Weltkriegs an vielen Hochgebirgsabschnitten und Gebirgsabschnitten die Lebensadern zur Front waren. Das zeigt sich, wenn sie die Grenze entlang gehen, vom Stilfserjoch bis hinüber in die Dolomiten ein. Selbst auch am Isonzo wurden entsprechende Seilbahnen zur Versorgung der Truppen gebaut. Und diese Infrastruktur - Wege, Seilbahnen, auch Unterkünfte, die teilweise noch gebaut wurden. Die können natürlich nach dem Krieg weitergenutzt werden und sind Grundlage dann auch für ein quantitativ aufwachsendes Feld des Tourismus.

Musik 11: Broken by nature (Part 5) – siehe vorn – 55 Sek

SPRECHERIN 1

Ein weiteres Überbleibsel aus dem Ersten Weltkrieg sind die Denk- und Mahnmäler, wie zum Beispiel auf dem Monte Grappa. Und natürlich die zahlreichen Soldatenfriedhöfe.

Jordan 14

Überhaupt sind diese Friedhöfe, die Sie entlang der Fronten von damals finden, Zeugen des Krieges und Zeugen von Tod und Leid und insofern Punkte, die wir heute auch besuchen sollten, um uns dessen gewahr werden, wie schlimm der Krieg ist - egal, ob es der erste Weltkrieg ist oder aktuelle Kriege. Es ist immer mit Tod und Leid verbunden, und insofern sollten wir alles dransetzen, das auch für die Zukunft in einem Miteinander zu vermeiden.


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